Donnerstag, 6. November 2014

Grauer Oktober/November




Der Bus, dieses weiß-blau-gelbe Monstrum, setzt sich ruckelnd in Bewegung. Ich halte den Atem an. Ein Blick aus dem Fenster. Grauer Einheitshimmel über grauer Einheitsarchitektur. Okay, das ist gelogen. Jena ist ziemlich bunt, und sogar das Horrorhaus in Lobeda wurde kernsaniert. Jetzt ist es zwar trotzdem grau, aber das ist ein edles gestrichenes Dunkelgrau mit roten Metallbalkonen, kein graubraunes gebäudezerfallendes Grau. Horrorhaus deswegen, weil es DER perfekte Horrorfilmdrehort in Jena wäre. Eingeschlagene Fenster, abblätternde Farbe, nebenan ist ein russisches, ebenfalls zerfallendes Casino. Wobei, jetzt natürlich nicht mehr. Jetzt ist das Horrorhaus umgewandelt in kleine "1-, 2- oder 3-Raumwohnungen"(so steht es auf dem Plakat). Für die Leute in Jena ist das toll. Aber ich werde vermutlich keinen Horrorfilm hier drehen können. 






Irgendjemand neben mir riecht nach Filterkaffee und Kondensmilch, aber ich drehe mich nicht um, um herauszufinden, wer. Eine Mutter streitet mit ihrem Kind, das nicht sitzen bleiben will. Doch ich denke nur an die Kondensmilch, die man früher mit einem Sporn geöffnet hat. In meiner Kindheit haben das meine Eltern schon nicht mehr gemacht, den Sporn hatten sie aber noch. Ich wusste überhaupt nicht, wofür man dieses Ding benutzte. Ich habe damit pinguänische Briefmarken gebastelt. Hat sehr gut funktioniert: die Löcher, die ich in das Papier bohrte, waren zwar manchmal etwas groß, aber man konnte meine Briefmarken, die übrigens alle orange waren, gut voneinander abtrennen. Sie zeigten meistens König Ping Öbeöb und kosteten fünf oder zehn pinguänische Pfennig. Trotz des ziemlich niedrigen Preises (fünf pinguänische Pfennig entsprachen zufälligerweise genau fünf deutschen Pfennigen) schlugen alle meine Versuche fehl, meine Eltern zu Endabnehmern meiner Briefmarken zu machen (...und das, obwohl mein Vater Briefmarken sammelte. Das hat mich schwer gekränkt.).

Bis heute muss ich an die nie gewürdigte Briefmarkenproduktion der pinguänischen Post denken, wenn ich Kondensmilch rieche. Was eine Busfahrt so alles bewirken kann...




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